Wie fühlt es sich an, wenn einem alles zu viel wird? Wenn die Wut so laut wird, dass sie alles andere übertönt – sogar die eigene Stimme? Diese Fragen standen unausgesprochen im Raum, als am 1. April die Schüler*innen der Klasse 10 gemeinsam mit ihren Lehrkräften Siri Mahler und Frederik Pfender das Theater im Marienbad betraten. Auf dem Spielplan: „Krummer Hund”, eine eindringliche Inszenierung nach dem mehrfach preisgekrönten Jugendroman von Juliane Pickel.

Die Bühne war karg, fast roh. Und doch: Kaum begann das Stück, war da sofort Energie. Spürbar. Pulsierend. Die Wut der Hauptfigur Daniel – mal in leisen, fast beklemmenden Momenten, mal eruptiv – fraß sich regelrecht durch die Reihen. „Gasförmige Hitze“, heißt es im Text, „alles gleißend hell“ – und genau so fühlte sich die Inszenierung an. Die Jugendlichen im Zuschauerraum lehnten sich nach vorn. Einige hielten den Atem an, als Daniel (gespielt von Alduin Gazquez) in einem Moment völliger Überforderung alles in sich zerbrechen ließ.

„Wie fühlt man das, was man da spielt?“ Diese und viele weitere Fragen stellten die Schüler*innen zwei Tage später, als Alduin Gazquez selbst das Klassenzimmer betrat – zusammen mit der Theaterpädagogin Anna Lee Engel. Nur: Der Schauspieler sah plötzlich ganz anders aus. Neuer Haarschnitt, andere Kleidung, entspannte Ausstrahlung. „Du hast ganz anders ausgesehen im Stück“, meinte ein Schüler überrascht – und das war nur der Auftakt für eine lebhafte, ehrliche und tief reflektierte Gesprächsrunde.

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„Ich war damals 15, als ich in der Schule die Hauptrolle in "Der Geizige" von Molière gespielt habe“, erzählte Gazquez. „Aber dass ich Schauspieler werde, war da noch nicht klar.“ Seine Mutter, selbst Schauspielerin, hatte ihm dabei sicherlich einen ersten Einblick in diese Welt gegeben, doch der Weg dorthin war mehr ein Prozess. Erst später, nach Stationen der Familie in Südamerika und einem Zwischenstopp in Italien, landete er an Schauspielschulen in Innsbruck und Wien. Inzwischen arbeitet er seit neun Jahren in diesem Beruf und ist seit einem Jahr fester Bestandteil des Ensembles Marienbad.

"Warum hast du dich für diesen Beruf entscheiden? „Weil es mich lebendig macht“, sagt Gazquez. „Weil ich mich auf der Bühne richtig fühle.“ Und auf die Frage, ob er lieber Theater oder Film spiele, kam die Antwort ohne Zögern: „Theater. Es fordert mehr. Du bist mit dem ganzen Körper da. Du lernst so viel über dich selbst – und über andere.“

"Kann einem das Schauspiel im echten Leben helfen?", wollte ein Schüler wissen. Ein kollektives Nicken ging durch die Klasse bei Gazquez' Antwort: „Ja, schon irgendwie! Du lernst, wie man in unterschiedlichen Situationen auftreten kann, oder sollte, - zum Beispiel in einem Vorstellungsgespräch. Bei der Schauspielerei lernst du viel über soziale Interaktionen. Welche Personen welchen Status einnehmen, wie man selber wirkt, wie man Präsenz zeigt.“

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Auf die Frage, ob Schauspieler*innen tatsächlich ehrliche Menschen seien, erklärte Gazquez mit einem Schmunzeln, dass er sich selbst als solchen betrachte – und dabei durchaus glaubwürdig wirkte. Vielleicht gerade deshalb, weil das Spiel mit der Täuschung den Blick für das Echte schärft. Wer ständig in neue Rollen schlüpft, beginnt zwangsläufig, das eigene Selbst immer wieder neu zu hinterfragen.

"Wie war dein Weg zur Rolle – und in Daniels Kopf?" war eine weitere Frage. Denn wie wird man so glaubhaft zu jemand anderem? Wie kommt die Wut eines fiktiven Menschen so authentisch in den eigenen Körper? „Zuerst ist da der Text“, erklärt Gazquez. „Aber dann geht’s um viel mehr: Wie bewegt sich die Figur? Woher kommt ihre Energie? Was drückt sich in ihrer Körperlichkeit aus? Und bei dem Stück "Krummer Hund" ist das besonders spannend – weil man direkt in Daniels Kopf ist. Alles ist Ich-Perspektive. Das Publikum hört, denkt, sieht durch ihn.“ Die Schüler*innen wollten es genau wissen: „Was denkt man auf der Bühne?“ – „Wie ist das, wenn das Publikum reagiert, kriegt das der Schauspieler mit und muss man denn lange für so eine Rolle proben?"

Gazquez beantwortete alles mit einer Offenheit, die beeindruckte. Keine Spur von Distanz. Keine Maske. Nur ehrliches Gespräch, sehr reflektiert und irgendwie auch fesselnd. ​Die Schüler*innen waren sichtlich fasziniert von Gazquez' persönlicher und authentischer Art, die Fragen des Schauspielhandwerks zu beantworten. Seine spürbare Leidenschaft für sein Metier zog die Aufmerksamkeit der Klasse in besonderem Maße auf sich. Diese persönliche Note verlieh der Schulstunde eine spezielle Atmosphäre, in der die Schüler*innen neben den technischen Aspekten des Schauspiels auch die emotionale Tiefe und die zwischenmenschlichen Dynamiken des Schauspielberufs hautnah erleben konnten.

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Theater, das nachhallt – weil es bewegt, spürbar macht, verwandelt. Ein Stück über Verlust, Freundschaft, Wut und das Ringen um Zugehörigkeit. Ein Schauspieler, der mit voller Kraft und großer Verletzlichkeit einen Jungen verkörpert, der an sich selbst zu zerbrechen droht. Und eine Schulklasse, die berührt, nachdenklich – und nach spontanen Stimmübungen eines Mitschülers auch schmunzelnd – zurückbleibt.

Vielleicht ist das die größte Kraft des Theaters: Es öffnet einen Raum. Für andere. Für uns selbst. Einen Raum, in dem das Spiel zur Wahrheit wird und Wirklichkeiten fühlbar werden – mit einer unglaublichen Bandbreite an Emotionen. Denn im Theater dürfen wir fremde Wirklichkeiten fühlen – und dabei unsere eigene neu entdecken.

Und irgendwie wird klar: Ein bisschen "Krummer Hund" steckt in uns allen - und das ist gut so!

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